20 July, 2018

Ein Leben für das Gleichgewicht auf zwei Rädern

Die Geschichte der Radfahrerin des Orbea Enduro Team Becky Cook ist ein Zeugnis dafür, wie jemand aufgrund des Zufalls oder der Launen des Lebens eines Tages in die Welt des Rades eindringt und nie wieder den Weg hinaus findet. Häufig liegt der Grund dafür eben in jener mystischen Befriedigung, die dich plötzlich am Ende einer Fahrt erfüllt, auch wenn diese noch so anstrengend war, und  in dieser eigenartigen Mischung aus Müdigkeit und Genuss: körperlich erschöpft, aber seelisch voller Leben!

Oft erscheint diese Kombination der Gefühle und Emotionen, die die zwei Räder ohne Motor vermitteln, so mächtig, dass du dich aus dieser „Fahrradwelt“ gar nicht mehr losreißen kannst und schon sofort nach der Ankunft am Ziel an den Spaß auf der nächsten Route denkst. Und an die nächste und die übernächste …

Der kleine Zusatz der zwei Räder ohne Motor ist für die Geschichte von Becky Cook durchaus bedeutend, denn die Fahrerin des Orbea Enduro Team von der kleinen britischen Isle of Wight hat nicht nur eine junge Vergangenheit bei den Enduro-Rennen, genau gesagt seit 2015, sondern darüber hinaus auch eine lange Geschichte in der Welt des Motorrads. Ihre Beziehung zu Motoren geht dabei weit über ihre berufliche Tätigkeit im Lkw-Betrieb ihrer Familie hinaus.

Becky Cook ist ein durchaus bekannter Name für Fans der Trial-Disziplin, in der sich die Fahrerin sehr wohl fühlte, bevor sie auf das Fahrrad stieß: In über 13 Jahren in der internationalen Elite des Trial erreichte sie eine stolze Titelsammlung, zu der fünf Vizeweltmeisterschaften, sieben Goldmedaillen beim „Trial des Nations“ (Rennen der Trial-WM), acht englische Meisterschaften und eine Europameisterschaft 2012 gehören. Erst vor vier Jahren wechselte Cook plötzlich vom Motorrad zum Fahrrad, als sie begann, auf dem motorlosen Zweirad für die Motorradrennen zu trainieren.

An ihrem neuen Trainingsgerät fand sie dann immer mehr Spaß, sodass eine der erfolgreichsten englischen Trial-Fahrerinnen aller Zeiten sich schließlich dazu entschied, sich vom Motorrad zu verabschieden und ihrem Wettkampfgeist bei den Enduro-Rennen auf höchstem Niveau freien Lauf zu lassen.

Mit dieser Vorgeschichte und dem Wissen, dass La Thuile für Cook ein ganz besonders interessantes Rennen ist, haben wir uns entschlossen, den „englischen Charakter“ der Fahrerin des Orbea Enduro Team, wie er von Tomi Misser in einem seiner jüngsten Videofilme beschrieben wurde, etwas näher kennenzulernen …

– Becky, wie ist der Wettkampf auf höchstem Niveau beim Trial und beim Enduro? Welche Unterschiede und Ähnlichkeiten gibt es?

Enduro ist viel anstrengender! Vielleicht liegt es daran, dass ich noch relativ neu in dieser Sportart bin und noch jeden Tag Neues lerne, aber sowohl körperlich als auch technisch ist die Enduro World Series (EWS) einfach unglaublich! Das soll nicht heißen, dass die Trial-WM ein Kinderspiel ist: Auch dafür musst du hart arbeiten und bestimmte Geschicklichkeiten, viel Power und hohe Präzision mitbringen. Diese Eigenschaften helfen einem auch auf dem Enduro-Bike bei den technischen Etappen sehr. Eigentlich machen beide Sachen echt Spaß. Beim Enduro hast du ein starkes Gemeinschaftsgefühl mit den Freunden, auch wenn es für das Gesamtergebnis vor allem auf eine gute Zeit ankommt.

Meine langjährige Erfahrung beim Trial-Wettkampf ist mir sehr hilfreich, wenn es darum geht, mich geistig und körperlich auf die EWS vorzubereiten. Enduro ist ganz anders als Trial, aber der Prozess der Vorbereitung auf die wichtigen Wettkämpfe ist sehr ähnlich.

– Führt deine umfangreiche Erfahrung beim Trial dazu, dass du einen besonderen Trick für das Rallon oder irgendeine besondere Geschicklichkeit hast?

Das Trial-Fahren hat meine Geschicklichkeit auf dem Fahrrad erhöht. Mir fällt es so leichter, das Rad durch enge Kurven zu lenken oder über Hindernisse zu springen.

– Und was ist mit deinen Kollegen vom Orbea Enduro Team? Hast du ihnen irgendwelche Tricks vom Trial beigebracht?

Bis jetzt noch nicht, aber Thomas Lapeyrie hat ein Trial-Rad und wir haben vor, eine gemeinsame Trial-Session zu organisieren.

– Wie fühlt es sich an, am Enduro-Wettkampf auf höchstem Niveau mitzumachen?

Es ist ungeheuer hart, aber auch sehr wohltuend. Der Wettkampf bei den Frauen ist echt anstrengend, das Niveau ist unglaublich hoch, und der gegenseitige Druck, noch schneller zu werden, ist enorm. Aber trotzdem ist das Ambiente sehr freundschaftlich und alle helfen sich gegenseitig, wenn jemand ein Problem hat. Es macht wirklich Spaß, dabei zu sein.

– 2016 warst du Siegerin der Enduro Series in England und dort hast du viele Rennen gefahren. Gibt es einen Unterschied zwischen dem Wettkampf dort und der EWS?

Ich glaube, der Hauptunterschied ist die Entfernung und der Höhenunterschied. In England gibt es nicht viele Berge. In technischer Hinsicht sind die Rennen in England leichter, weshalb mir die EWS wie ein total anderes Niveau vorkommt, was natürlich für eine Weltmeisterschaft völlig normal ist.

– Hinsichtlich deines Jobs als Lkw-Fahrerin: Ist das Berufung? Wie ist es dazu gekommen?

Ich arbeite mit meinem Vater zusammen, und inzwischen sind auch mein Bruder und meine Cousins dabei, ein richtiger Familienbetrieb. Die meiste Zeit mache ich die Arbeit gerne, obwohl ich natürlich lieber auf meinem Fahrrad sitzen würde. (Sie lacht.)

– Fällt es dir schwer, den professionellen Enduro-Wettkampf und das Lkw-Fahren miteinander zu vereinbaren?

Die Insel, auf der ich wohne, ist zum Glück klein, sodass die Entfernungen nie sehr groß sind. Aber unabhängig davon ist es manchmal schon schwer, Training und Beruf miteinander zu vereinbaren. Im Allgemeinen trainiere ich vor und nach dem Job, sodass meine Tage manchmal ganz schön lang werden.


– Welches Rennen der diesjährigen EWS ist deine Lieblingsstrecke?

Die in Olargues, Frankreich. Körperlich und technisch liegt mir die Strecke am meisten. Aber auf La Thuile freue ich mich auch. Ich war noch nie dort, aber habe schon viel gehört.

– Welche Geländeart hast du beim Wettkampf am liebsten?

Für mich sind steinige Pisten am besten, aber feuchten, rutschigen Boden mag ich auch. In Großbritannien sind wir daran sehr gewöhnt.



– Dein Lenker ist nur 740 mm breit, im Gegensatz zur allgemeinen Tendenz beim Enduro-Rad zu breiteren Lenkern. Wie kommt das?

Meine Schultern sind relativ schmal, sodass ich mich bei 740 mm wohlfühle. Wenn ich auf einem Fahrrad mit breiterem Lenker sitze, fasse ich ihn trotzdem an der gleichen Stelle an. Außerdem vermeide ich so, auf schmalen Strecken gegen die Bäume zu stoßen.

– Was machst du in deiner Freizeit, wenn du keine Rennen fährst?

Normalerweise arbeiten! Viel Freizeit bleibt mir dabei nicht, aber ich hänge gerne zu Hause ab, oder am Strand, oder ich gehe mit meinem Hund spazieren.


– Wahrscheinlich gibt es bei dem häufigen Zusammenleben mit den Teammitgliedern viele Anekdoten. Möchtest du eine mit uns teilen?

Alle Fahrer sind ziemlich lustig, sodass wir viele angenehme Momente miteinander verbringen. Bei lustigen Anekdoten erinnere mich zum Beispiel daran, wie unser Teammanager Julien Brugeas das Abendessen des Teams anbrennen ließ, oder dass Gabi Torralba einmal an einem Renntag seine Schuhe vergaß.

– Zum Abschluss: Wie würdest du die „Enduro-Profifahrerin Becky Cook“ beschreiben?

Eine harte Arbeiterin mit stiller Entschlossenheit!

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